Mai 2017

Mai 2017 - Halo, Gewitter und Hitze

Der Mai 2017 startete eher verhalten und kühl, sogar der Bodenfrost war während des ersten Monatsdrittels noch zweimal Gast in Mainz.  Zum Ende des Wonnemonats durften wir aber auch die erste längere Sommer- und Hitzeperiode des Jahres erleben. Diese wurde aber am 30. Mai durch eine Vielzahl von Gewittern jäh beendet. Bevor hier nun ausführlichere Bericht zur konvektiven Wetterlage sowie atmosphärischen Erscheinungen unseres Doktoranden Oliver Schlenczek folgen, hier noch die Monatszusammenfassung und Klimatologie in Bildern:

Text, Foto und Graphik: Philipp Reutter

"Über die Klassifikation konvektiver Wolken" von Oliver Schlenczek

Die Wetterlage, die sich Ende Mai 2017 über Mitteleuropa eingestellt hat, bot optimale Bedingungen zur Beobachtung und fotografischen Dokumentation hochreichender Quellwolken. Nun wird sich mancher Wetterbeobachter die Frage stellen, ab wann eine Quellwolke eigentlich ein Cumulonimbus ist und bis wann sie noch als Cumulus gilt. Diese Frage kann selbst für einen Profi alles andere als trivial sein.

Nach der Definition der WMO ist der Übergang vom Cumulus zum Cumulonimbus dann vollzogen, wenn die ersten streifigen Strukturen im oberen Teil der Wolke auftreten, welche anzeigen, dass dieser Teil der Wolke nahezu vollständig aus Eis besteht. Gerade sehr junge Cumulonimben sind optisch schwierig von hochreichenden Cumuli (Cumulus congestus, lat. "congestus" = "hoch aufgetürmt") zu unterscheiden. Lassen wir uns dazu ein paar Beispiele anschauen, als erstes einen Zeitraffer. Die Bilder sind jeweils im Abstand von 30 Sekunden aufgenommen worden.

Dieser Zeitraffer vom 29. Mai 2017 zeigt, wie sich ein Cumulus congestus in einen Cumulonimbus umwandelt. Schaut man nur auf das erste und das letzte Bild, ist der Unterschied offensichtlich. Nur wo genau erfolgt eigentlich der Übergang? Das erste Foto ist von 17:50 Uhr. Hier sind die oberen Teile der Wolke noch sehr scharfkantig und es gibt noch keine sichtbaren Anzeichen dafür, dass die Vereisung eingesetzt hat. Auf dem folgenden Foto von 17:52 Uhr lösen sich erste kleinere "Fransen" vom Hauptturm ab, markiert mit einem Pfeil. In diesem Moment scheint der Prozess der Vereisung gerade los zu gehen. Zwei Minuten später hat der obere Teil seine zuvor sehr scharfe Kante schon verloren und im rechten Teil deutet sich bereits die Bildung des Ambosses an. Der Verlust der scharfkantigen Strukturen und das Auftreten von ersten streifigen Wolkenelementen markiert das Stadium des Cumulonimbus calvus (lat. "calvus" = "kahl", der Amboss fehlt noch). Nach weiteren drei Minuten ist der obere Teil komplett zerfasert und der typische Amboss (lat. "incus") ist deutlich erkennbar. Der gesamte Transformationsprozess vom Cumulus zum voll entwickelten Cumulonimbus hat nicht einmal zehn Minuten gedauert.

Ähnlich wie bei dieser Bilderserie ist es häufig zu beobachten, dass weit entfernte Gewitterwolken eher harmlos wirken, weil sie fast rein weiß sind. Wer hätte schon gedacht, dass auf das erste Bild schon bald starker Wind und heftiger Regen folgen würde?

Auf dem folgenden Foto ist deutlich erkennbar, dass es sich um ein linienförmiges organisiertes konvektives System (hier eine so genannte Multizellenlinie) handelt. Der ganz linke Wolkenturm ist der Jüngste, der sich noch im Stadium des Cumulus congestus befindet. Der mittlere ist bereits deutlich als Cumulonimbus calvus erkennbar und der rechte bildet bereits einen Amboss aus, demnach ein Cumulonimbus incus. Diese Erscheinungsform mit individuellen konvektiven Zellen in unterschiedlichen Entwicklungsstadien, wie auf einer Perlenschnur aufgereiht, ist typisch für organisierte konvektive Systeme.

Das zweite Foto zeigt dieselbe Wolke etwa eine Stunde später, auch wenn sie jetzt völlig anders aussieht. Die turbulenten Strukturen im oberen Teil des Bildes zeigen eine Böenwalze (Arcus), deren Durchgang mit kräftigen Böen und starkem Regen verbunden war.

Aus sprichwörtlich heiterem Himmel kommt in weniger als einer Viertelstunde aber trotzdem kein Gewitter. Wer von einem Gewitter plötzlich überrascht wird, hat wahrscheinlich die deutlichen Vorboten davon (Cumulus congestus) einfach übersehen. Wie schnell sich überhaupt ein derartiger Wolkenturm in einer instabil geschichteten Luftmasse bilden kann, lässt sich näherungsweise ausrechnen: Der Aufwind in einem starken Gewitter erreicht ungefähr Geschwindigkeiten von 120 km/h, in einem sich entwickelnden Cumulus liegt die Geschwindigkeit eher bei ca. 30-40 km/h - die Extremsportler unter den Segelfliegern nutzen solche Wolken um schnell in sehr große Höhe aufzusteigen. Vom Boden bis zur Tropopause sind es ungefähr 12 Kilometer. Um bei 40 km/h eine Strecke von 12 Kilometern zurück zu legen, braucht man 18 Minuten. Wer also draußen in der freien Natur unterwegs ist, sollte bei einer zu Gewittern neigenden Wetterlage also wenigstens mal alle zehn Minuten zum Himmel schauen um zu prüfen ob sich nicht vielleicht doch eine unangenehme Überraschung anbahnt…

Zum Schluss gibt es hier noch zwei Fotos einer recht selten beobachteten Begleitwolke von Cumulus und Cumulonimbus. Der zentrale Turm im ersten Foto hat einen „Hut“ auf; diese Begleitwolke heißt Pileus und entsteht dadurch, dass die feuchte, aber noch untersättigte Luft oberhalb des Cumulus durch dessen Aufwind zum Aufsteigen gezwungen wird. Dabei wird in kurzer Zeit eine genügend hohe Übersättigung erreicht und es bildet sich eine Wolke, die den Leewellenwolken (Lenticularis) sehr ähnlich sieht. Für Bruchteile einer Sekunde ist es uns bereits gelungen, eine derartige Begleitwolke über einem (in dem Fall künstlichen) Aufwind im Labor zu reproduzieren. Meistens wird diese Wolkenkappe schon kurze Zeit später durch den weiter aufsteigenden Turm penetriert, was im zweiten Foto zu sehen ist. Entscheidend für das Auftreten dieser Begleitwolke ist neben der instabilen Schichtung das Vorhandensein einer feuchten, aber noch untersättigten Schicht in der mittleren oder oberen Troposphäre. In den hier gezeigten Fotos gab es laut Radiosondenaufstieg von Idar-Oberstein auf ca. 5 km Höhe bei einer Temperatur von -10°C eine sehr feuchte Schicht. Die gute Nachricht für Wolkenbeobachter ist: Wenn man einen Pileus sieht, dann gibt es wahrscheinlich noch mehr davon. Alleine im Zeitraum von 16:30 bis 18:00 Uhr am 30. Mai 2017 habe ich mehr als 15 Pileus-Sichtungen gezählt.

Fotos, falls nicht anders angegeben: Oliver Schlenczek

21. Mai 2017 - "Eisiges Farbspektakel am Abendhimmel" von Oliver Schlenczek

Nachdem am vergangenen Wochenende eine Kaltfront mit Regen durchgezogen ist, macht sich nun hoher Luftdruck über Mitteleuropa breit. Das Wolkenbild am Samstag und am Sonntagvormittag war noch durch flache Cumuli und Stratocumuli geprägt, allerdings macht sich schon am Mittag des 21. Mai 2017 eine Höhenwarmfront in Form von hoher Bewölkung bemerkbar. Gegen 16:30 war praktisch überall im Rhein-Main-Gebiet ein dünner Cirrostratus-Schleier mit einem 22°-Halo sichtbar. Wahrscheinlich werden es viele nicht bemerkt haben, denn man muss schon beinahe direkt in die Sonne schauen um dieses Phänomen überhaupt sehen zu können.

Wer meint, das war jetzt schon alles, was die hohen Eiswolken am Sonntag an Lichterscheinungen bringen würden, wurde gegen 20:00 Uhr prompt eines Besseren belehrt. Inzwischen war fast der gesamte Himmel mit Cirrus, Cirrocumulus und Cirrostratus in sämtlichen Varianten überzogen. Zu diesem Zeitpunkt tauchte in Blickrichtung Taunus von der Nat-Fak aus gesehen eine geteilte rechte Nebensonne auf. Da in dem ganzen Wust aus unterschiedlichen Zirren auch solche der Art Lenticularis dabei waren, lohnt es sich, hier einmal genauer hinzuschauen. Lenticularis-Wolken sind nämlich dafür bekannt, dass sie bisweilen perlmuttartig schimmern.

Dieses Phänomen nennen wir Meteorologen Irideszenz und es kommt dadurch zustande, dass sich die Größe der Wolkenpartikel in stromabwärtige Richtung ändert (die Partikel werden größer). Dadurch tritt, wie an einem optischen Gitter, Beugung auf. Hier ist dieser Effekt nur dezent, wenn überhaupt, zu sehen. Einige Bereiche der Lenticulariswolke im Vordergrund erscheinen leicht violett, im Gegensatz zum Rest, der eher gelblich erscheint.

 

 

 

 

 

 

 

Auf das, was danach kam, war ich ehrlich gesagt nicht vorbereitet. Die anfangs gespaltene Nebensonne wurde schließlich als Ganzes sichtbar, wobei die Betonung auf "Sonne" liegt. Derart helle Nebensonnen sind sehr selten, wenngleich das Halophänomen "Nebensonne" an sich vergleichsweise häufig auftritt. Es ist schon ungewöhnlich, wenn man von einer Haloerscheinung regelrecht geblendet wird. Ich musste die Belichtungszeit auf die kürzest mögliche einstellen und die Blende so weit zu machen, wie es ging. Und trotzdem sind die zentralen Bereiche immer noch leicht überbelichtet. Wenn die durchschnittlichen Nebensonnen in Sachen Helligkeit mit einer Kerze verglichen werden, dann war das hier ein Flutlichtstrahler von der Opel-Arena. Der Höhepunkt in Sachen Helligkeit dauerte ein paar Minuten an, was auch eher ungewöhnlich ist.

Selbst acht Minuten später war die Nebensonne immer noch sehr hell, im Vergleich zu dem, was durchschnittlich beobachtet wird. Die später aufgetretene linke Nebensonne entspricht schon eher der durchschnittlichen Helligkeit.

 

Dass die Physik von Zirren auch abseits von Nebensonnen und sonstigen Halophänomenen interessant sein kann, zeigt die Vielfalt an Strukturen, die es sonst bei keiner anderen Wolkengattung gibt. Eispartikel gehorchen in Sachen Fallgeschwindigkeit, Wachstum und Verdunstung anderen physikalischen Gesetzen als Wassertröpfchen, da die Form eine entscheidende Rolle spielt. In einem Foto ist zu sehen, wie ein Kondensstreifen durch einen natürlichen Cirrus hindurchgeht und dadurch seine Mikrophysik beeinflusst. Ein weiteres Foto zeigt neben einzelnen "Flocken" von Zirren auch wellenförmige Strukturen (unten links). Und der zum Abschluss gezeigte, von der untergegangenen Sonne angeleuchtete Cirrus zeigt, dass die Luftmasse in dieser Höhe und Region instabil geschichtet ist. Diese beutelförmigen Strukturen unterhalb der Wolke geben ihr den Subtyp "mamma". Bei Cumulonimben wird dies häufiger beobachtet, aber diese durch Konvektion hervorgebrachte Struktur kann genauso gut an Orten auftreten, wo es viel zu kalt für die Existenz flüssiger Tröpfchen ist.

Als Wolkenphysiker finde ich es schade, dass solche Wolken nur selten auf Messkampagnen zu beobachten und zu messen sind und immer noch vieles im Unklaren bleibt. Bis heute ist noch nicht geklärt, warum manche Nebensonnen leuchten wie ein Regenbogen, während andere fast rein weiß erstrahlen. Richtig "saubere" Plättchen oder Säulen, welche für diese Lichterscheinungen benötigt werden, kommen in den meisten Zirren zahlenmäßig in eher unbedeutender Menge vor. Die Eismasse wird im Wesentlichen von Aggregaten aus langen Säulen, so genannten Bullet Rosettes, gestellt. Abschließend sind exemplarisch zwei Bildstreifen mit Eiskristallen gezeigt, die wir in der Nähe von Schottland mit unserem Messinstrument HALOHolo in einem Warmfront-Cirrus in ca. 9 km Höhe bei einer Temperatur von -50°C aufgenommen haben. Die Quadrate unten links sind keine Eispartikel, sie haben eine Kantenlänge von genau 100 Mikrometern und dienen als Größenvergleich. In dem gemessenen Cirrus gab es nur sehr wenige Säulen und Plättchen, dafür viele Bullet Rosettes, sonstige Aggregate und Partikel, die sich keiner bekannten Form zuordnen lassen (in der Literatur häufig als "Irregular" bezeichnet). Hoffentlich gelingt es uns bei der nächsten oder übernächsten Messkampagne, so einen Cirrus mit heller Nebensonne in situ zu untersuchen. Die Ergebnisse könnten auch dabei helfen zu verstehen, warum manche Zirren farbenprächtige Haloerscheinungen hervorbringen und andere nicht.

Hoch ein Hinweis zum Schluss: Abgesehen von ein klein wenig nachschärfen und Zuschneiden des interessanten Bereichs wurden die hier gezeigten Fotos nicht weiter bearbeitet.

 

Artikel, Fotos und Abbildungen von Oliver Schlenczek