Langzeitbelichtung in der Dose
Dass die Sonne im Sommer höher am Himmel steht als im Winter erleben wir jedes Jahr - mit einer einfachen Methode, der Solargraphie, lässt sich die Änderung der Sonnenbahn auf Papier bannen.
Das Abbildungsprinzip, das dabei genutzt wird, ist das einer Lochkamera, auch "camera obscura" genannt. Die Kamera besteht aus einem möglichst komplett abgedunkelten Gehäuse, in das nur durch ein kleines Loch Licht einfallen kann. Auf einen Schirm im Inneren des Gehäuses können Lichtstrahlen, die von Objekten außerhalb des Gehäuses ausgehen, nur auf gerader Linie, in einem sehr kleinen Bündel, durch das Loch fallen. So entsteht auf dem Schirm ein auf dem Kopf stehendes und spiegelverkehrtes Abbild der Außenwelt.
Nutzt man als Schirm lichtempfindliches Fotopapier und kleidet damit das Gehäuse aus, das hier aus einer Getränkedose besteht, lässt sich die Aussicht von unserem Institutsdach (Bild 1) festhalten.
Um zu verhindern, dass Wassertröpfchen direkt am Loch kondensieren, kann man noch Löschpapier an der Dose anbringen (Bild 2) und erhält nach knapp drei Monaten Belichtungszeit ein Stück Fotopapier, das an einigen Stellen dunkler geworden ist (Bild 3).
Nachdem das Fotopapier eingescannt, gedreht, gespiegelt, farbinvertiert und nachbearbeitet ist, lassen sich auf der Aufnahme der Horizont und Teile von Messgeräten, Metallkonstruktion und Geländer im Vordergrund erkennen, vor allem aber die Bahn der Sonne (Bild 4 und 7, verschiedene Bearbeitungen).
Der am höchsten gelegene Bogen entsteht durch die direkten Sonnenstrahlen kurz nach der Sommersonnwende (21. Juni), während die tiefer gelegenen Bögen durch die Sonnenstrahlen zu späteren Zeitpunkten bis zur Tagundnachtgleiche am 22. September aufgezeichnet wurden. Dieses Muster lässt sich mit der für Mainz berechneten Änderung von Höhenwinkel (gemessen vom Horizont bis zur Sonne) und Sonnenrichtung in dem hier aufgezeichneten Zeitraum in Deckung bringen (Bild 5 und gelb/orange/rote Linien in Bild 7).
Allerdings lässt die Krümmung der Dose die Aufnahme verzerrt erscheinen und der veränderte Einfallswinkel des Lichts sorgt außerdem für ein schärferes Signal im September als im Juni. Es fällt außerdem auf, dass die Sonnenbahnen auf der linken Seite des Bildes deutlich heller sind als auf der rechten. Dies könnte daran liegen, dass beim Stechen des Lochs in die Dose ein eventuell asymmetrischer nach innen gewölber Grat entstanden ist, der das Licht in manche Richtungen abschirmt.
Doch können wir die Aufnahme auch noch für Aussagen über das Wetter in den letzten drei Monaten verwerten?
Zumindest an einigen Tagen Ende September sieht man sehr deutlich Unterbrechungen in der Sonnenspur - ein Hinweis auf zeitweise Bewölkung!
Um längere sonnige Perioden zu identifizieren wurden die Strahlungsmessdaten des Institus zu Hilfe genommen (Bild 6). Es wurde berechnet, inwiefern sich das jeweilige Tagesmaximum der Globalstrahlung von der bei klarem Himmel maximal möglichen Strahlungsintensität unterscheidet. Werte nahe 100 % resultieren aus sehr sonnigen Tagen, die in der Abbildung durch hellgrüne Streifen erkennbar sind.
Man könnte nun behaupten, dass sich direkt aus dem Dosenbild eine längere sonnige Periode vor dem 27. August und sehr sonnige Tage am 17./18. September ableiten lassen... Wir verlassen uns doch lieber auf das Pyranometer für die Strahlungsaufzeichung im Sommer 2017 und erfreuen uns an der Solargraphieaufnahme als ein sehr schönes Optikexperiment für geduldige Fotografen.
Vera Bense